Spiel: Tropfenstaffel – Materialität im Spiel

Spielablauf

  • Die Mitspieler*innen könne sitzen oder stehen. Jede*r Mitspieler*in erhält ein Blatt von Kapuzinerkresse, Kohlrabi (auf jahreszeitliche Verfügbarkeit achten! Achtung, Rosenblätter sind vom Effekt her spannend aber ungeeignet) etc.
  • Der/die erste Mitspieler*in erhält aus einer Pipette oder einer Einwegspritze einen Tropfen Wasser auf ihr Blatt und gibt diesen an die/den nächsten via der Blätter weiter bis der Kreis geschlossen ist.
  • Es können weitere Wassertropfen ins Spiel gebracht werden. Prinzipiell gibt es kein Ende des Spiels bis die Spieler*innen sich dafür entscheiden.

Dew drops on a leaf

Dewdrops on a leaf. Photo by Mikael F. CC BY-SA-NC 2009

Besipielhafte Fragen für ein Debriefing

  • „Was ist passiert?“
    Die Interpretation dieser Frage gibt Aufschluss über die Antwortenden und ggf. deren Erwartung an die Lehreinheit in der Art eines Rorschach-Tests: Ist die Antwort physikalisch, botanisch, emotional oder didaktisch gefärbt?
  • „Was ist deiner Ansicht nach die Bedeutung dieses Spiels für dich / die Gruppe / für den institutionellen Rahmen, in dem wir hier sind / für das Thema heute?“

Die Tropfenstaffel wurde mir ursprünglich von einer Biologielehrerin gezeigt (deren Namen ich leider vergessen habe…), die diese Methode auf Schulexkursionen zur Verdeutlichung des Lotosblüteneffekt eingesetzt hat.

Letztendlich können Spiele dieser Art – verblüffend, vieldeutig, ästhetisch – eine Ergänzung von Containerspielen oder Gamification-Ansätzen sein: Die Aufmerksamkeit der Lernenden wird geschärft, es wird aber Raum gelassen für eine Erfahrung, die individuell gedeutet werden kann und soll. In dieser Hinsicht können diese Spiele – mit knappen Debriefing mit dieser Erklärung – Stimmungen für nachfolgende ‚vorgedeutete‘ Lerninhalte setzen.


Weitere Spiele dieser Art

Stille-Post-Spiele

Das Spiel als ästhetisches Medium der Krise

„…in anything but a game the gratuitous introduction of unnecessary obstacles to the achievement of an end is regarded as a decidedly irrational thing to do, whereas in games it appears to be an absolutely essential thing to do.“
– Bernhard Suits 1978, „The Grasshopper: Games, Life and Utopia“, p.39

Wenn ein Spiel zu spielen der freiwillige Versuch ist, unnötige Hindernisse zu überwinden, dann ist die Erschaffung eines neuen oder Modifikation eines bestehenden Spiels der schöpferische Umgang mit unnötigen, aber interessanten Hindernissen. Es geht dann unter anderem um das ästhetische Design von Krisen, verbunden mit dem impliziten Design von Strategien bzw. Strategieräumen zu ihrer Lösung.
Der spielerische bzw. spielende Ansatz ist für Kunst und Bildung insofern interessant, als dass er einerseits Krisen und Lösungsstrategien aktiv erfahrbar macht, weiterhin aber neben der Bewältigung auch durch die Wiederholbarkeit die Freiheit und unterschiedliche, legitime  Möglichkeiten zum Scheitern liefert.

„Ich mag Geschichten über das Scheitern. (…) Das ist eine der ältesten Geschichten der Welt. Wir Menschen ziehen los und erschaffen tolle neue Welten. Aber wir nehmen uns immer mit. Und wenn wir das Verderben an einen Ort gebracht haben, dann folgt es uns auch zum nächsten.“
– Ken Levine, “Bioshock”, 
GEE Mag 09/10 2007 Weiterlesen

Was ist Kunst?

Meine persönliche Definition von Kunst ist:

Kunst ist ein Spiel mit den Bedingungen der Weltwahrnehmung.

Was bedeutet das? Ich kann mit Karten spielen, mit Figuren, mit Bällen, mit Worten. Was genau ich mit den Karten, Figuren, Bällen und Worten mache, wird durch Regeln, Erzählungen, der Materialität und dem kulturellen Kontext vorgegeben. Das Spiel wird zu einer Welt en Miniature, in der man sich den Spielumständen entsprechend verhalten kann, in der Spielhandlungen auf eine bestimmte Weise interpretiert werden können und nur im Rahmen des Spiels, seiner Regeln und Erzählungen einen Sinn ergeben.

Wenn ich nun anfange, mit den Regeln und Erzählungen des Spiels zu spielen – wenn der König nicht mehr Matt gesetzt sondern verführt werden muß, die verschieden farbigen Figuren beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht sich gegenseitig helfen müssen, um zu gewinnen etc. – dann spiele ich, wenn das Spiel meine kleine Welt ist, mit den Bedingungen der Weltwahrnehmung.

Übertrage ich dieses Vorgehen auf die ‚große‘ Welt, dann lässt sich Kunst übertragen in ihrer Bedeutung als das Spiel mit den Erzählungen, Regeln, Materialität und kulturellen Kontexten unserer persönlichen Weltwahrnehmung. Für einen Augenblick spielen wir – erlaubt, gezwungen, herausgefordert, verführt – ein anderes Spiel.

Spiel ist der freiwillige Versuch, unnötige Hindernisse zu überwinden.

In Kombination mit dieser eleganten Spieldefinition aus Bernhard Suits (1978) „The Grasshopper: Games, Life and Utopia“ ergibt sich eine interessante Kombinationen, die sowohl auf den Prozess der Kunstproduktion wie den der Kunstrezeption passt:

Kunst ist ein freiwilliger Versuch, über das Auseinandersetzen mit unnötigen Hindernissen die Bedingungen der Weltwahrnehmung zu verändern.

Wunderschön.

Spieldesign: Verbindung von alten und neuen Spielideen

Gemälde: Lucas von Leyden (1. Drittel des 16. Jhdts), „Die Schachpartie“
„Das Kurierspiel“ – Ein Schachbrett mit 12 x 8 Feldern?

Die wenigsten neuen Spiele entstehen aus dem Nichts, und viele der heutigen bekannten ‚kanonischen‘ Spiele sahen früher anders aus, wurden anders gespielt oder besaßen andere Rahmenerzählungen. Diese Entwicklung lässt sich im Kleinen auch beim Kinderspiel entdecken:

“Every game player is a potential game designer, and that means you.
When you were a kid, you probably started many a game of whiffle ball or Monopoly with a little negotiation over the rules. “If the ball gets stuck in a tree, it’s an out,” “Chance and Community Chest fines go into a pool, and whoever lands on Free Parking gets the money,” and so on. Kids don’t hesitate to change the rules of existing games to make them more enjoyable. The participatory nature of playing a game encourages us to think about, and sometimes modify, its rules that is, its design. (…) We’ve all played games that we thought could be improved by a few adjustments.”
– Rollings and Adams (2003): “Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design”, p.11

Wie bei anderen Medien auch gibt es im Spieldesign Genres, Tropen, Klischees; ständig wiederkehrende Narrationen – z.B. Krieg, Handel, Kreation, Auktion, Jagd, Aufbau, Fortschritt, Zuordnung etc. – und beliebte Regelelemente – z.B. Zufall, versteckte Information, abwechselnde Zugfolge, zwei Parteien etc.. Dabei geben die Regeln oder das physikalische Spielmaterial die eindeutige Spielmechanik vor, die die erlaubten Züge und das Spielziel definiert, während die narrativen Elemente Bedeutung und Motivation in die Spielhandlungen einbringen.
Die Veränderung einzelner Regelelemente – z.B. Karten zu ziehen und auszuspielen statt zu Würfeln bei “Mensch Ärgere dich nicht” oder das ‘blinde’ Spielen von “Tic-Tac-Toe” mit einem Spielmeister – ergibt bereits ein neues Spiel mit anderem Spielgefühl und anderer Aussage; kurz, es entsteht ein neues Medium, in dem gespielt werden kann (s. Marshall McLuhan).
Das selbe lässt sich beobachten, wenn narrative Elemente des Spiels geändert werden: Ein Computerspiel, bei dem man  gezielt eine Person töten muss, würde, je nachdem, ob man Terroristen oder Anti-Terror-Truppen spielt, ein anderes Spielgefühl hervorrufen („America’s Army“). Die erste Version von Risiko hatte z.B. als Mission noch „Erobern sie die Welt“, bis diese in das ‚ungefährlichere‘ „Befreien sie die Welt“ umgeformt wurde.
Und was passiert, wenn Beim „Cowboy und Indianer“-Spiel auf einmal kein Kind mehr die Cowboys spielen will? Weiterlesen

Artikel in „shift“: #spiel

Dieser Artikel von mir erschien gerade in Heil, Kolb und Meyer (Hg.) „shift.“, ein Reader – der erste – aus der Reihe „Kunst Pädagogik Partizipation.“, enstanden als gemeinschaftlich verfasstes Werk der TeilnehmerInnen des Bundeskongress der Kunstpädagogik 2010-2012.
Ich bin recht zufrieden mit dieser Version hier, während die lektorierte Version in der Printausgabe ein gutes Beispiel dafür ist, wie eine veränderte Interpunktion die Bedeutung einer Aussage verändern kann: „Komm wir essen Opa“. Weiterlesen

The safety of medium and art – and the avantgarde

The contest between two artists, Zeuxis and Parrhasios

Two ancient artists competing against each other: Zeuxis paints grapes so realistic, that birds try to eat them. Parrhasios paints a curtain ‚hiding‘ his painting, which is so realistic that the other artist is fooled: Zeuxis isn’t able to perceive Parrhasios artwork as such at all because it is too realistic.

An old question: What should be called ‚art‘? Is it a subjective interpretation of reality, or an objective depiction that could be mistaken for reality? Does art, in the first place, have to be interpretable as art – before one can interpret its contents?

Engraving of Zeuxis and Parrhasios: http://steffenvoelkel2.de/01-2012/13.01.2012%20075.jpg

Trompe l’oeil

Deception of the eye: A piece of art that make use of, or trangsress the physical boundaries of its visual medium to startle or to bluff. This can be an artistic intervention to render the medium visible – by letting it flow over into reality.

A beautiful example is Pere Borell de Caso (1874), „Escapando de la crítica„, or „Escaping Criticism“, where a boy seems to step out of the painting’s frame which is also painted.

Interestingly, this painting could also be interpreted as ‚avoiding the discrimination‘ between what is real and what is virtual; or a hint that the framing of a medium, a framing which usually generates safety, can be incorporated in a work of art. As with a game, we can expect that content stays within the magic circle of the medium, and behaves true to the rules of the medium: A painting does not move or change, it has no (interesting) backside or depth, it stays in one place and does not follow us around.
A murder mystery is harmless fun as long as it stays within the frame of its technical medium, e.g. a book or a movie; but it gets threatening if it steps out of its boundaries.

Do you know Oscar Wilde’s famous 1890 novel „The Picture of Dorian Gray“? The „Nightmare on Elm Street“ movies? Fincher’s movie „The Game“ or, one of the latest addition to this genre, Suzuki’s excellent „The Ring“? See the similarity to Borell de Caso’s painting with a girl getting out of a TV-screen in „The Ring“ (US-remake from 2002).
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=lbO9LhD9PsI#t=0m31s[/youtube]
The horror, when a medium does not behave as expected…! Weiterlesen

Gender, women in science and advertisers: Unusability

The European Commission for Research and Innovation started an initiative on June 21st 2012 to get girls into scientific careers: „Science: It’s a girl thing!“
(See the link „questions about our videoclip?“ for some background infos)

A 1-minute video clip was produced by an ad agency for about 100.000 Euros. This clip was meant to raise interest in the age group of 9-13 year old females. It showed long legged photo models in high heels and short skirts, confronting a much more solemn, good looking male model als „scientist“, while lipsticks and powder puffs turn into bubbling test tubes and vice versa.
It worked exceptionally well as a viral campaign on what context markers not to use to create the context „Women as sciencists“.
With other words: The video – unintentionally – succeeded as discussion starter because it failed to use the right contextmarkers (whatever these are).

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=g032MPrSjFA[/youtube]

Stupid EU video PSA shows how *not* to promote science to young women

Here are, again, two approaches to initiate education deducible. One obvious to inform and integrate; and one to question invisible medio-cultural givens.

  • For the definition of context, contextmarkers, error and learning see: Gregory Bateson (1972), “The Logical Categories of Learning and Communications” in “Steps to an Ecology of Mind”

„What’s next?“ – Spiel als Medium

Zu meinem Beitrag „Spiel: Krise!“ auf dem Symposium „What’s Next?“ (21.10.-22.10.2011) an der Universität zu Köln gibt es bei Interesse ein Video und die Folien bei Slideshare.

Der Blog „Nach den Regeln der Kunst: Spiel als Medium“, der aus dem Workshop und dem anschließenden Seminar entstand, fasst studentische Arbeitsergebnisse und Gedanken zum Thema Spieldesign, Kunst, Krise zusammen.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=o8gPuM_At_I[/youtube]

Eike Paulsen und Richard Stief:
„VektorRace“ – Durchdringung von virtuellem und realem Raum

Darja Shatalova:
„Schicksal“ – Brettspiel mit strategischen und Zufallselementen.

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The Breaking of the Circle

Playing with, through, against medial boundaries.

This article is based on the presentation on September 29th 2011,
„Designs on eLearning DoeL – Future Spaces for Learning“, Helsinki

Picture: DoeL 2011: „Circles within circles“

Abstract

Digital-networked games are created to foster a desired pattern of behaviour in their users, beyond the mere delivery of content; this is a trait shared with many innovative digital media developments.

This can be seen as an opportunity for creating better learning – or rather teaching – media, but there will also be ideological, propagandistic or commercial (mis)use. What is necessary is a broad approach in arts, ethics and aesthetics to target and tackle the permeating structures behind the obvious content, and hint on playing with medial borders – named here higher order gaming – as an anarchistic, radical counterpart in contrast to rule-conforming, more conservative gaming and game design.

Game design may follow two roads. The classic path of first order game design would be to deliver the content as challenging and as balanced as can be, to draw the player smoothly into the confines and safety of the ‚magic circle‘ of play. Alternatively it may point to the ‚magic circle‘ as a place of manipulation and the player’s power over this manipulation as player/designer. Weiterlesen

The absence of a sign is the sign of an absence

It may seem counter intuitive, but an empty space may be as expressive in specific circumstances as would be a present object. Of course there are obvious taboos in a society that deliberately lead to an absence of a sign, although the object, process, system itself is present, maybe even formative for the culture. This is more a conscious renouncement, like the omission of specific politically uncorrect expressions (see? I did it – no examples given).

The categories are sometimes blurred, but the more dire version of an absence of signification is the one one can not see from within the system of signs one uses to handle the world. These absent signs lie in the blind spot of cognisance that Heinz von Foerster describes as metaphor for things we won’t know and systemically won’t know that we won’t know them – thus, with this metaphor, creating a sign for something not easily expressable before. You can find the physiological phenomenon and an experiment described here.
For culture, this may be the omission of systemic forces in political discourse in a liberal market society, with a demand of a  high degree of autonomy and responsibility from its ‚free‘ participants; or the seemingly wide spread notion of persons of wealth and power in our societies, that they just shape the ‚content‘ – e.g. power, money, concrete decisions – by entitlement of ‚hard work‘, ‚expertise‘ etc.; and not the ‚rules‘ within these decisions are made; or how ‚hard work‘ or ‚expertise‘ is defined. A good example to render this kind of blind spot visible is Garry Shirts‘ 1969 famous game of „Starpower“. Weiterlesen