Das Spiel als ästhetisches Medium der Krise

„…in anything but a game the gratuitous introduction of unnecessary obstacles to the achievement of an end is regarded as a decidedly irrational thing to do, whereas in games it appears to be an absolutely essential thing to do.“
– Bernhard Suits 1978, „The Grasshopper: Games, Life and Utopia“, p.39

Wenn ein Spiel zu spielen der freiwillige Versuch ist, unnötige Hindernisse zu überwinden, dann ist die Erschaffung eines neuen oder Modifikation eines bestehenden Spiels der schöpferische Umgang mit unnötigen, aber interessanten Hindernissen. Es geht dann unter anderem um das ästhetische Design von Krisen, verbunden mit dem impliziten Design von Strategien bzw. Strategieräumen zu ihrer Lösung.
Der spielerische bzw. spielende Ansatz ist für Kunst und Bildung insofern interessant, als dass er einerseits Krisen und Lösungsstrategien aktiv erfahrbar macht, weiterhin aber neben der Bewältigung auch durch die Wiederholbarkeit die Freiheit und unterschiedliche, legitime  Möglichkeiten zum Scheitern liefert.

„Ich mag Geschichten über das Scheitern. (…) Das ist eine der ältesten Geschichten der Welt. Wir Menschen ziehen los und erschaffen tolle neue Welten. Aber wir nehmen uns immer mit. Und wenn wir das Verderben an einen Ort gebracht haben, dann folgt es uns auch zum nächsten.“
– Ken Levine, “Bioshock”, 
GEE Mag 09/10 2007 Weiterlesen

Was ist Kunst?

Meine persönliche Definition von Kunst ist:

Kunst ist ein Spiel mit den Bedingungen der Weltwahrnehmung.

Was bedeutet das? Ich kann mit Karten spielen, mit Figuren, mit Bällen, mit Worten. Was genau ich mit den Karten, Figuren, Bällen und Worten mache, wird durch Regeln, Erzählungen, der Materialität und dem kulturellen Kontext vorgegeben. Das Spiel wird zu einer Welt en Miniature, in der man sich den Spielumständen entsprechend verhalten kann, in der Spielhandlungen auf eine bestimmte Weise interpretiert werden können und nur im Rahmen des Spiels, seiner Regeln und Erzählungen einen Sinn ergeben.

Wenn ich nun anfange, mit den Regeln und Erzählungen des Spiels zu spielen – wenn der König nicht mehr Matt gesetzt sondern verführt werden muß, die verschieden farbigen Figuren beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht sich gegenseitig helfen müssen, um zu gewinnen etc. – dann spiele ich, wenn das Spiel meine kleine Welt ist, mit den Bedingungen der Weltwahrnehmung.

Übertrage ich dieses Vorgehen auf die ‚große‘ Welt, dann lässt sich Kunst übertragen in ihrer Bedeutung als das Spiel mit den Erzählungen, Regeln, Materialität und kulturellen Kontexten unserer persönlichen Weltwahrnehmung. Für einen Augenblick spielen wir – erlaubt, gezwungen, herausgefordert, verführt – ein anderes Spiel.

Spiel ist der freiwillige Versuch, unnötige Hindernisse zu überwinden.

In Kombination mit dieser eleganten Spieldefinition aus Bernhard Suits (1978) „The Grasshopper: Games, Life and Utopia“ ergibt sich eine interessante Kombinationen, die sowohl auf den Prozess der Kunstproduktion wie den der Kunstrezeption passt:

Kunst ist ein freiwilliger Versuch, über das Auseinandersetzen mit unnötigen Hindernissen die Bedingungen der Weltwahrnehmung zu verändern.

Wunderschön.

Mathematische Spieltheorie, ethisches Handeln und Gesellschaft

Die mathematische Spieltheorie beschäftigt sich mit den sich gegenseitig beeinflussenden Entscheidungen mehrerer (rational handelnder) Spieler und deren mathematischen Beschreibung. Sie steht in Abgrenzung zu den Spieltheorien von z.B. Kulturanthropologen, Pädagogen, Psychologen etc. zu Strukturen und Funktionen des Spiels.

Grundsätzlich haben „Spiele“ der mathematischen Spieltheorie stets folgende Eigenschaften: Es gibt mehrere Spieler; es gibt Regeln, die die Interaktionsmöglichkeiten und den Umgang mit Informationen (wer weiß wann was?) festlegen; die Spielerentscheidungen haben Konsequenzen, die die eigenen und die Entscheidungen der Mitspieler beeinflussen; und es gibt eine Belohnung oder Auszahlung (oder Strafe) abhängig von bestimmten Bedingungen.

Die vier Eigenschaften von GT-Spielen. Aus: „Hogwarts Professor. Game Theory: A key to young adult’s fiction?“. Noch aufzuführen wäre unter Regeln der Umgang mit Information (PAPI: Players, Actions, Payoffs, Information)

Das Gefangenendilemma, ein Nicht-Nullsummenspiel, ist das bekannteste „Spiel“ der mathematischen Spieltheorie. In seiner Grundform als einmaliges Single-Shot-Spiel mit anonymen Gegenspieler ist die einzige rationale Strategie, den Gegner herein zu legen, d.h. die Entscheidung ist ausschließlich eine ethische. In diesem Zusammenhang sei einmal mehr auf Heinz von Foersters Betrachtung prinzipiell entscheidbarer und prinzipiell unentscheidbarer Fragen hingewiesen: Rationalität bzw. „rationales Handeln“ ist eine Entscheidungsfindungsstrategie unter vielen, die gewählt, modifiziert oder auch abgelehnt werden kann.

Christopher X.J. Jensen hat ein interaktives PDF dazu erstellt:

Bildschirmfoto 2016-01-22 um 14.50.08

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e8/Prisoner’s_Dilemma_embezzlement_scenario.pdf

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Spiel: Skrupel – ein Spiel mit Moral

Eines der prägendsten Attribute von Spiel ist die Entscheidung auf Seiten des Spielers. Um den rein strategisch-logischen Entscheidungen auch interpretativ-subjektiv-narrative entgegen zu setzen, habe ich mir basierend auf Kohlbergs „Heinz-Dilemma“  und der Punktevergabe des „Lexikon-Spiels“ das Seminarspiel „Skrupel“ ausgedacht. Interessanterweise kommt es im Verlauf des Spiels bisher stets zu einem Kippen zwischen präkonventionellem und postkonventionellem moralischen Verhalten einiger Spieler: Sollen die Entscheidungen altruistisch-ehrlich (Einstieg, 3. Stufe) oder egoistisch-gewinnorientiert (Kippen, 2. Stufe) gefällt und erzählt werden?

SkrupelScreenshot

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Spieldesign: Verbindung von alten und neuen Spielideen

Gemälde: Lucas von Leyden (1. Drittel des 16. Jhdts), „Die Schachpartie“
„Das Kurierspiel“ – Ein Schachbrett mit 12 x 8 Feldern?

Die wenigsten neuen Spiele entstehen aus dem Nichts, und viele der heutigen bekannten ‚kanonischen‘ Spiele sahen früher anders aus, wurden anders gespielt oder besaßen andere Rahmenerzählungen. Diese Entwicklung lässt sich im Kleinen auch beim Kinderspiel entdecken:

“Every game player is a potential game designer, and that means you.
When you were a kid, you probably started many a game of whiffle ball or Monopoly with a little negotiation over the rules. “If the ball gets stuck in a tree, it’s an out,” “Chance and Community Chest fines go into a pool, and whoever lands on Free Parking gets the money,” and so on. Kids don’t hesitate to change the rules of existing games to make them more enjoyable. The participatory nature of playing a game encourages us to think about, and sometimes modify, its rules that is, its design. (…) We’ve all played games that we thought could be improved by a few adjustments.”
– Rollings and Adams (2003): “Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design”, p.11

Wie bei anderen Medien auch gibt es im Spieldesign Genres, Tropen, Klischees; ständig wiederkehrende Narrationen – z.B. Krieg, Handel, Kreation, Auktion, Jagd, Aufbau, Fortschritt, Zuordnung etc. – und beliebte Regelelemente – z.B. Zufall, versteckte Information, abwechselnde Zugfolge, zwei Parteien etc.. Dabei geben die Regeln oder das physikalische Spielmaterial die eindeutige Spielmechanik vor, die die erlaubten Züge und das Spielziel definiert, während die narrativen Elemente Bedeutung und Motivation in die Spielhandlungen einbringen.
Die Veränderung einzelner Regelelemente – z.B. Karten zu ziehen und auszuspielen statt zu Würfeln bei “Mensch Ärgere dich nicht” oder das ‘blinde’ Spielen von “Tic-Tac-Toe” mit einem Spielmeister – ergibt bereits ein neues Spiel mit anderem Spielgefühl und anderer Aussage; kurz, es entsteht ein neues Medium, in dem gespielt werden kann (s. Marshall McLuhan).
Das selbe lässt sich beobachten, wenn narrative Elemente des Spiels geändert werden: Ein Computerspiel, bei dem man  gezielt eine Person töten muss, würde, je nachdem, ob man Terroristen oder Anti-Terror-Truppen spielt, ein anderes Spielgefühl hervorrufen („America’s Army“). Die erste Version von Risiko hatte z.B. als Mission noch „Erobern sie die Welt“, bis diese in das ‚ungefährlichere‘ „Befreien sie die Welt“ umgeformt wurde.
Und was passiert, wenn Beim „Cowboy und Indianer“-Spiel auf einmal kein Kind mehr die Cowboys spielen will? Weiterlesen

Drei Elemente des Spieldesigns

(Regel)Spiele setzen sich zusammen aus narrativen, regulativen und ästhetischen Elementen, wobei sich die drei Bereich gegenseitig durchdringen: In einem idealen, designtechnisch integriertem Spiel ergänzen und verstärken sich Rahmenerzählung, Regeln und ästhetische Gestaltung. Gegenläufige Verwendungen, z.B. die hohe Rolle des Geldes oder die gefälschten Würfelwürfe bei “eLections – Your Adventure in Politics”, einem Spiel, das die US-amerikanische Demokratie erklären soll, führen ggf. zu einem irritierenden Spielerlebnis (= in der US-Amerikanischen Politik wird geschummelt und der mit dem meisten Geld gewinnt vermutlich). Dies wäre bei Unusable Games aber durchaus erwünscht.

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„What’s next?“ – Spiel als Medium

Zu meinem Beitrag „Spiel: Krise!“ auf dem Symposium „What’s Next?“ (21.10.-22.10.2011) an der Universität zu Köln gibt es bei Interesse ein Video und die Folien bei Slideshare.

Der Blog „Nach den Regeln der Kunst: Spiel als Medium“, der aus dem Workshop und dem anschließenden Seminar entstand, fasst studentische Arbeitsergebnisse und Gedanken zum Thema Spieldesign, Kunst, Krise zusammen.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=o8gPuM_At_I[/youtube]

Eike Paulsen und Richard Stief:
„VektorRace“ – Durchdringung von virtuellem und realem Raum

Darja Shatalova:
„Schicksal“ – Brettspiel mit strategischen und Zufallselementen.

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Some Game Design Approaches

As impressive as most commercial games look like, ’new‘ games rely mostly on skinning (signs and stories), slight modding (rule systems), recombination and maybe some additional extras – to already known and successful games and game mechanics. Weiterlesen

The absence of a sign is the sign of an absence

It may seem counter intuitive, but an empty space may be as expressive in specific circumstances as would be a present object. Of course there are obvious taboos in a society that deliberately lead to an absence of a sign, although the object, process, system itself is present, maybe even formative for the culture. This is more a conscious renouncement, like the omission of specific politically uncorrect expressions (see? I did it – no examples given).

The categories are sometimes blurred, but the more dire version of an absence of signification is the one one can not see from within the system of signs one uses to handle the world. These absent signs lie in the blind spot of cognisance that Heinz von Foerster describes as metaphor for things we won’t know and systemically won’t know that we won’t know them – thus, with this metaphor, creating a sign for something not easily expressable before. You can find the physiological phenomenon and an experiment described here.
For culture, this may be the omission of systemic forces in political discourse in a liberal market society, with a demand of a  high degree of autonomy and responsibility from its ‚free‘ participants; or the seemingly wide spread notion of persons of wealth and power in our societies, that they just shape the ‚content‘ – e.g. power, money, concrete decisions – by entitlement of ‚hard work‘, ‚expertise‘ etc.; and not the ‚rules‘ within these decisions are made; or how ‚hard work‘ or ‚expertise‘ is defined. A good example to render this kind of blind spot visible is Garry Shirts‘ 1969 famous game of „Starpower“. Weiterlesen

Alternate Reality Games – „Spiel es, bevor du es lebst.“

„Planspiele sind Modelle der Wirklichkeit, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in definierten Rollen und in vorgegebenen Handlungsräumen provozieren, eine fiktive Ausgangslage zielgerichtet zu verändern.“
– Dietmar Ochs (2006), „Das Planspiel im Unterricht

„Play it before you live it.“
– ARG-Motto

Ein Alternate Reality Game – oder kurz ARG – ist eine Mischung aus Webquest, (Life)Rollenspiel, szenariogestützter Zukunftswerkstatt, kollaborativem Schreiben (ähnlich der FanFiction), Massive Multiplayer Online Game (MMOGs) und nicht zuletzt dem klassischen deutschen Planspiel – allerdings spielen die Spieler sich selbst vor einem gradiell erweiterten fiktiven, progressivem Hintergrund und nehmen nicht vorgegebene Rollen an. Das Spiel findet im ‚öffentlichen Raum‘ (heute meist in dem des Internets) statt; ‚Zuschauer‘ sind möglich, die Teilnahme am Spiel ist meist gewollt für diese offen gehalten. Weiterlesen