Das Eckige muss ins Runde?



Weil Spiel-Software in der Regel einfacher zu bewerben und zu verkaufen ist als ihre bildungstheoretische Reflexion, gelten „Game based Learning“ (GBL), „Playducation“, „Gamification“ und ähnliche Projekte als state of the art – auf Didaktikmessen und Konferenztagen gleichermaßen. In der aktuellen Auflage des vom New Media Consortium jährlich publizierten »Horizon Report«, dem Standardwerk zur Bildungstrendforschung, wird GBL als relevante Lernstrategie der nächsten zwei bis drei Jahre identifiziert.
Dass die theoretischen Konzepte bei einer allzu sorglosen Verquickung von Spiel und Lehre wenn nicht bis Platon so in der Regel doch auf behavouristische Wurzeln zurückreichen und so das Spiel auf ein bloßes Mittel zum Zweck reduziert wird, wird dabei gemeinhin ignoriert.

Ein besonderes Problem der Korrelation von Lernen, Bildung und Spielen liegt in der Eigenart der Deutschen Sprache, nicht ohne weiteres zwischen regelgeleitetem Spiel und innovativem bzw. explorativem Spiel zu unterscheiden. So bedeutet im Englischen „gaming“ die Akzeptanz eines absolut bindenden Bezugssystems aus Regeln und Narrationen, um am Spiel teilnehmen und es ggf. gewinnen zu können, während „playing“ oder „toying“ eine schöpferische Umdeutung bzw. Umreglementierung eines Wirklichkeitsaspekts vorangeht, um damit bzw. darin dann spielen zu können. Dies sind keine Gegensätze, sondern gegenseitige Ergänzungen, sichtbar z.B. im kindlichen Rollenspiel, wenn sich Phasen des gemeinsamen Aufstellen oder Modifizieren von Regeln und Deutungen abwechseln mit solchen der Unterordung des Handelns darunter. Wenn beim Vater-Mutter-Kind-Spiel auf den Ausruf „Du darfst das nicht, du bist die Mutter!“ die Entgegnung folgt „Darf ich wohl, gerade weil ich die Mutter bin!“, dann stecken die Spieler mitten im Wechsel zwischen kreativem Metaspiel und konservativem Regelspiel. Weiterlesen

„Social Media – Demokratie, Partizipation, Manipulation?“

Zur Podiumsdiskussion am 04.11.2011 der Volkshochschule
(Es diskutieren: Guido Brombach (DGB Bildungswerk, pb21 / #GiBro), Agnieszka Krzeminska (Social Media Führerschein), Dr. Jan Schmidt (Hans-Bredow-Institut Hamburg), Wey-Han Tan (Universität Hamburg), Henning Wötzel-Herber (ABC Bildungs- und Tagungszentrum e.V. / #Plastikstuhl); Vortrag: Prof. Dr. Torsten Meyer (Universität zu Köln); Moderation: Christina Schwalbe (Universität Hamburg))

Ich mache drei Ebenen der Lenkung von Kommunikations- und Informationsprozessen aus. Dies sind die institutionelle, die technisch-mediale und die individuelle Ebene. Weiterlesen

Die Essenz des Spiels

Michael Straeubig erläuterte auf der Lüneburger Hyperkult am 8.7.2011 ein interessantes Konzept zum Spieldesign bzw. Spielverständnis. In seinem Vortrag „Essenz, Vereinfachung, Trivialisierung? Minimalisierung als Methode beschreibt er die Reduktion von Spielmechaniken auf das gerade noch notwendige Mindestmaß, um das Spiel vom Charakter her erkennbar und es selbst noch spielbar zu halten.

Muss, für eine Essenz z.B. des Puzzlespiels, ein Puzzleteil noch als Puzzleteil erkennbar sein (d.h. muss es Nut und Zapfen besitzen)? Muss bei Beendigung des Puzzles ein geschlossenes, glattes Rechteck herauskommen? Ist die Orientierung Oben-Unten-Rechts-Links-Hinten-Vorne bei den einzelnen Puzzleteilen unerheblich? Spielt die Haptik, d.h. das Erfassen der unregelmässigen Formen mit den Fingern und der Widerstand beim Einpassen eine essenzielle Rolle für das Puzzle-Spielerlebnis?

Puzzlevariationen – Welche ist ‚essenziell‘?
1.) Geschlossener Rahmen bei Wahlmöglichkeit mit Einpassung, 2.) Offener Rahmen bei Wahlmöglichkeit mit Einpassung, 3.) Wahlmöglichkeit nur über Rotationsorientierung.

  • Aus „Mensch Ärgere Dich nicht“ wird auf diese Weise ein Drei-Felder-Spielbrett mit einem binären Würfel (Essenz: randomisiertes Ziehen-Schlagen-Ziel erreichen);
  • aus einem Adventure-Spiel wird die korrekte Identifikation und korrekte Positionierung von Gegenständen (Essenz: Finden-Verlagern-Punkte einstreichen);
  • aus einem Puzzle wird ein drei-, zwei-, oder auch nur einteiliges Legespiel, je nachdem, ob man von multiplen Passungsmöglichkeiten, tatsächlicher physischer ‚Einpassung‘ oder lediglich einer ‚richtigen‘ Bild(re)generierung ausgeht.

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Spieldesignbeispiel: Ärgere-Das-Simulacrum

Jede Spielentwicklung verläuft anders, aber ich versuche hier mal ein Beispiel zu geben, wie sich meine Spielidee um eine weitere Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Variante allmählich entwickelt. Dabei decken unterschiedliche Spieldesignmethoden unterschiedliche Zielvorgaben ab: Das Spiel soll eine andere bzw. erweiterte Narrationsform bekommen (Skinning) und daran angepasst andere bzw. mehr Regeln (Modding) erhalten. Es wird dadurch komplexer, soll aber trotzdem noch ausbalanciert im Spiel sein (Akkretion und Tuning bzw. Balancing). Durch die Übertragung massenmedial präsenter Narrationen (Filmclichés) in eine Regelform geschieht ebenfalls eine – wenn auch sehr simple – transmediale Übertragung.
Die Idee eines postmodernen Mashup von MÄDN wurde inspiriert von den unübertrefflichen TV-Tropes sowie von Mark A. Rayners ebenso simplen wie faszinierenden Stein-Schere-Papier-Variante. Weiterlesen

Unusability: You don’t want to play it again!

“Unusable games“ sound like a contradiction: Who would want to play a game that doesn’t work? And why are there designers – educators, of all the people with already a reputation for bad game design – that create these unusable games?

If in a game we regret acting like we did, usable games give us a chance to do better next time.
Unusable games force us to repeat the same regrettable action over and over, until we regret playing the game as it is, without alterations of its rules or its narratives to do better.
Its a game-genre about awareness: Stop playing by the given rules, laugh at them – or change them.

Games demand from the player blind trust that they, as a medium, behave in a stable, foreseeable and conventional way. For example a game is usually accompanied by the exciting suspense of who may win in the end; a game that ‘cheats’, by subtly sabotaging this balance in favour of the game, of one player or a group of players, may turn gameplay into a frustrating experience.

So, if given a game the player expects it to be balanced, to be fun, to contain a coherent contextualisation. She expects it to be either culturally and traditionally tethered and proven like chess, or, with contemporary games, created en bloc by a competent and benevolent game designer for her entertainment.

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Neue Medien (er)spielen!

„Der sinnliche Trieb will bestimmt werden, er will sein Objekt empfangen; der Formtrieb will selbst bestimmen, er will sein Objekt hervorbringen; der Spieltrieb wird also bestrebt sein, so zu empfangen, wie er selbst hervorgebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet.“

– Friedrich Schiller (1795): „Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen.“

Medien bestimmen, wie wir uns ausdrücken und was wir als Mitteilung erkennen können. Gleichzeitig sind Medien selbst Artefakte und Gegenstand von Veränderung. Ob die Form einer Vorlesung, eines Computerspiels oder eines Sammelbands: Das, was erwartet, gesagt und verstanden werden kann, ist gleichermaßen Bedingung und Ergebnis des Mediums. Würde ein Radio z.B. neben der Funktion als Empfänger noch zum Sendeapparat für Jedermann werden, wie Brecht es sich 1932 vorstellte, würde die Verschiebung der Grenzen des bestehenden technischen Mediums und seiner Sendeformate eine Neudefinition nötig machen: Es wäre kein Radio mehr. Weiterlesen

About the virtuality of media

One of mankinds greatest achievements is also one of its greatest obstacles in furthering the means to represent and thus reflect and understand ‚reality‘. Languages provides us with a seemingly simple way of assigning words to concepts to reality: Language, photographs, film, hypertext, games – all seem to be clear cut and distinguishable in their forms. All have a specific relationship to time and space in their acts of creation and those of reception.

Language flows linearily, like a string of pearls coiling around the topic it tries to grasp, like the touches of a blind man trying to shape a sculpture out of thin air. Photography resembles an afterimage of a landscape illuminated by lightning, freezing a changing, moving world into one to behold in all it’s details, for once unchanging. Film moves our view like a puppet on a string, taking us relentlessly by the hand to follow what is laid out for us. Hypertext gives us some choice to choose between forking paths, maybe trace back and forth, like an idle or searching wanderer. And games – games provide us with language, images, moves, and choices, though it can not be found in these but in the rules that let us interpret them, interact with them. Games are what we turn into them by adding rules that differ from, yet resemble those given to us, ingrained in our identity and society.

Mercifully, the first rule of a game is: You don’t have to play, and if you want to play you do not have to accept the rules as they are. This could also be seen as the first rule of all media, of all medium, but is never as clear as in games – or as in arts.
One task suits both very well: Showing the limits and rules of media, of its beneficient and problematic potential, and that a word, a concept, a meaning, a rule system of production and reception, that these may may be altered by the artist, the game designer, the viewer, reader or player in an act of creation.

Visual analysis of gamebooks

Gamebooks were, during the 80ies and before the rise of PCs and the internet, a staple of interactive fiction. Back then, the next best thing to sitting together with some friends and playing a face-to-face roleplaying game was reading these branching, directed hypertexts in the form of books.
Each paragraph had a number on top, and at the end there was the number of the next paragraph to be read. Sometimes a decision had to be made, e.g. doing something or refraining from it, that would lead to two different parapgraphs.

Two medium-relevant motivations drove me, back then: I wanted to ’solve‘ the text, i.e. bringing the path to a satisfiying ending; and I wanted to know what would have happened if my decisions earlier on were different ones. The latter one would usually take over when the text had been solved – a classic example for the replayability of a simplified narrative possibility space („The Tree“).

Meretzky_TheMysterysOfTheSecretRoom

Screenshot from the animation of the pathways of „The Mysterys of the Secret Room“.

For a beautifully visualised and animated depiction of a reader’s possible paths of ten gamebooks, a description of specific path-formations, and an evolutionary analysis of „Choose your own adventures“ narrative structures – or if you simply had been a fan yourself in the heydays of gamebooks – visit this site: CYOA.

There’s also a path, beautifully documented on the webpage, to second order gaming, to systemic theory or to radical constructivism to be found in one gamebook:

„This ending was not just an easter egg for the obsessive reader who didn’t mind skimming every page looking for telltale words. Instead it’s hard to miss in even a casual riffling. A two-page illustration showing what could only be paradise (or perhaps a theme park) leaps out as the only spread in the book without any text. Flipping to the page before brings you to 101, where you discover that your curiosity has been rewarded.
You have found the planet, not by following the constraints of the system, but by going outside of them – a fitting moral to the story and an encouraging reminder that any game should be a starting point for the imagination, not the end.“

Some things can’t be chosen from within the system of rules one adheres to, but has to be discovered or invented by breaking or transcending those boundaries.

The modest artist/writer doesn’t explicitely states his name, but from the story presented I take it to be Steve Meretzky.
This is an extraordinary, and extraordinary beautiful website.

Further readings:

A cabbalistic riddle

Radical constructivism may find an aesthetic counterpart in beautifully crafted educational narratives used for example in cabbalistic teaching and Zen-buddhism. These short stories are often recursive, layered, or self-denying because of their complex topics (e.g. existence, epistemes, agency), but nonetheless beautiful to behold.

One fine example, though quite concrete, is this cabbalistic riddle:

KabbalistischesRaetsel_Wey-Han_Tan

A young student once asked a renowned teacher about the nature of knowledge. The teacher drew a circle in the sand and explained: Within this circle is that, what we know, and on the outside is that, what we do not know.
We may build our lives on what is within the circle, getting proficient and skilled in the application of what we know. We may also strive to learn what is on the outside, on what we will know one day or may never know at all, becoming proficient and skilled in widening the circle. Or we may think about the thin line of the circle itself, of how it is created, and what its nature and purpose may be.

In a similar three-step-approach, though maybe less accessible and with a different goal, we encounter a short koan from Hui-Neng, taken from „The Gateless Gate“:

Two monks were watching a flag flapping in the wind.
One said to the other, „The flag is moving.“
The other replied, „The wind is moving.“
Huineng overheard this.
He said, „Not the flag, not the wind; mind is moving.“

Lecture „First and Second Order Games“ at the HAW

On tuesday, December 15th, from 18:00 to 19:30 I will give a lecture with the title „Spiele erster und zweiter Ordnung – Lernen zwischen Konvention und Innovation“ („First and second order games – Learning between convention and innovation“). I will present i.a. the concept of playing with a game’s boundaries, as a means of reflection on the medial nature of games and to challenge a critical view on the presentation of content. The framing is a cycle of lectures, „Games als Motor der Innovation“ („Games as motor of innovation“), held by gamecity at the HAW (University of applied sciences).