Spiel: Brückenbau. Ein schnelles Teamspiel und mehr.

„Brückenbau“ ist ein schnelles Teamspiel – und ein möglicher Einstieg in die Funktionsweise von Planspielen bzw. in eine einfache Art der Didaktisierung von Spielen.

Papierschiffchen

In diesem Artikel findet sich,

  1. wie das Spiel beispielhaft eingesetzt werden kann,
  2. wie dieses oder andere Spiele didaktisch gerahmt werden können,
  3. wie eine Anpassung des Spiels an eigene didaktische Ziele erfolgen kann,
  4. wie damit ein konzeptueller Einstieg in die Planspielentwicklung möglich ist,
  5. welche thematisch verwandten Spiele es dazu noch gibt und
  6. welche Literatur für einen eigenen Einstieg empfehlenswert dazu ist.

1. Das Spiel spielen und Spaß haben!

Vorbereitung

Materialien:
Benötigt werden für jede Gruppe à drei Personen ein Tisch, eine Schere, Klebeband, 8 Blatt A4-Papier; Weiterhin ein Papierfaltboot aus einem A4-Blatt und zwei Rollen mit 1-Cent-Münzen (oder 250g Schokolade in kleinen Täfelchen) und eine Stoppuhr.

Die Spielregeln werden erklärt:

  • Teams mit je drei Personen sollten gebildet werden.
  • Jedes Team hat die Aufgabem, eine Brücke zu bauen.
  • Es dürfen nur die Materialien auf dem Tisch verwendet werden: 8 Bögen DIN A4-Papier, Klebeband, Schere. Jedes Team hat seine eigenen Materialien.
  • Ein Papierschiff muss aufgefaltet unter der Brücke hindurchgeschoben werden können ohne diese zu berühren.
  • Die Brücke muss das Gewicht eines mit 100 1-Cent-Münzen (ca. 250g) beladenen Papierschiffs aushalten können ohne zusammen zu brechen.
  • Es gibt zwei Spielphasen: In den ersten zwei Minuten bleibt das Material unangetastet und die Spieler versuchen, im Gespräch Ideen zur Lösung des Problems zu finden. In den zweiten fünf Minuten kann gebastelt (aber auch weiterhin gesprochen) werden.

Spiel

Nachbesprechung (Beispielfragen)

  1. Worum ging es bei diesem Spiel?
  2. Wie sah die Rollenverteilung im Team aus?
  3. Wie kann man zurückhaltende Teammitglieder – evtl per Regel? – zu einer aktiveren Beteiligung bringen?
  4. Aus welchen Elementen – Regeln, Erzählungen, Materialien, sozialen Kontexten – ‚besteht’ das Spiel? Fallen dir Varianten dazu ein – und wie beeinflussen deiner Ansicht nach diese Varianten Spielverlauf und Spielerlebnis?

2. Den Kuchen essen und gleichzeitig behalten.
Didaktische Kontextualisierung

„Das Spiel dient der Motivierung, der Emotionalisierung und der Selbsterfahrung; (in) der Auswertung der eigenen Spielerfahrung (…) findet der eigentliche Lernprozess statt.“
– Kerres et al. (2009) in Didaktische Konzeption von Serious Games: Zur Verknüpfung von Spiel- und Lernangeboten

„Experience plus reflection equals learning“
– John Dewey (1938) in Experience and Education

Die Nachbesprechung, auch Transferphase oder Debriefing genannt, spielt eine wichtige Rolle in der Didaktisierung durch Kontextualisierung der Spielerfahrungen. Durch die Lenkung der reflektierenden Betrachtung des Spiels außerhalb der Spielsituation durch z.B. Leitfragen können die Spieler das Spielerlebnis neu bewerten, ohne dass die Spielsituation selbst übermäßig didaktisiert werden müßte. Der Fokus kann dabei von der Betrachtung von z.B. Materialeigenschaften (Ingenieursstudiengänge) bis zum Rollenverhalten in der Spielergruppe im Rahmen einer sicheren (Spiel-)Umgebung (Soziologie/Psychologie) reichen.

DidaktischeKontextualisierung

Bild: Kontextualisierender Spieldesignansatz: Ein vorhandenes oder selbst erstelltes Spiel wird durch angeleitete Vor- und/oder Nachbereitung didaktisch gerahmt.

Dieser Designansatz ist besonders bei Planspielen beliebt, wo die Vor- und Nachbesprechung (Briefing und Debriefing) eine zentrale Rolle spielen (s. Reiser & Warkalla 2011).
Dieser Ansatz lässt sich aber prinzipiell auf alle Spiele anwenden!

3. Was nicht passt wird passend gemacht.
Veränderung bzw. Anpassung von Spielelementen

Die vom Spieldesigner gestaltete Aufgabe wird ermöglicht durch Regeln (Jurisdiktion, Grenzen) und Narrationen (Interpetation, Motivation), durch Materialeigenschaften und kulturelle Kontextualisierung. Durch eine Variation dieser Elemente kann das Spiel erleichtert oder erschwert werden. Variationen können aber auch andere Schwerpunkte des Spielerlebnis setzen – z.B. kollaborativer statt kompetitiver, ressourcen- oder ästhetikzentrierter etc.
Die Nachbesprechung sollte auf das intendierte bzw. veränderte Spielerleben eingehen.
Ein nochmaliges Spiel nach der Nachbesprechung mit gleichen oder veränderten Spielelementen kann den Fokus neu setzen und eine Reflexion des eigenen, vorherigen Verhaltens bzw. der dort entwickelten Strategien während des erneuten Spieldurchgangs herausfordern.
Eine Spielvariante, die die Spieler nach dem Spiel selbst entwickeln, um einen bestimmten Effekt im Spielerleben zu erreichen, ist ein didaktischer Designansatz zweiter Ordnung: Es ist ein Spiel mit dem Spiel um die Bedingungen des eigenen Entscheidens besser zu verstehen.

DesignZweiterOrdnung

Bild: Modifizierender Spieldesignansatz: Im Spiel probiert man Entscheidungen aus; in der Modifikation probiert man, wie sich die Räume für diese Entscheidungen gestalten (lassen) – Lernen durch Designen.

  • Beispiel: Variation von Regeln (Wie?)
    • Es darf während des Bastelns nicht mehr miteinander gesprochen werden.
    • Jeder Spieler verwaltet exklusiv eine Ressource (Papier, Schere oder Klebeband) und darf nur diese handhaben.
    • Eine große Stellwand wird zwischen zwei Teams mit angrenzenden Tischen geschoben. In jedem Team gibt es einen Projektleiter, der als Einziger mit dem anderen Projektleiter sprechen darf; beide sind dafür verantwortlich, dass die Brückenteile von identischer Größe und Position sind, so dass sie bei Wegziehen der Stellwand miteinander verbunden werden können (Idee von Carola Helwig).
  • Beispiel: Variation des Materials (Womit?)
    • Die Teams erhalten je unterschiedliche Materialien und Werkzeuge, z.B. Strohhalme und Cuttermesser, Styroporkugeln und Stecknadeln etc..
    • Die Brücke wird vor dem Test mit einem Pflanzensprüher mit Wasser angefeuchtet.
  • Beispiel: Variation der Narration (Warum?)
    • Statt eines Schiffes wird ein Modell-Güterbahnwaggon zum Belastungstest verwendet. Vor Spielbeginn wird erklärt, dass die Teams aus IngenieurInnen bestehen, die eine Eisenbahnbrücke zu einem Endbahnhof bauen sollen.
  • Beispiel: Variation kultureller Kontextualisierung
    • Der Modell-Güterbahnwaggon ist beim Belastungstest prall mit kleinen, gelben Spielfiguren gefüllt. Die Assoziation zum Holocaust soll die Spielgrenzen auf- und persönliche Betroffenheit auslösen. S. u.a. den Spieldesignansatz von Brenda Brathwaite bei „Train“ (2009), ein Spiel das genau dies thematisiert; ähnliche Ansätze lassen sich bei Gonzalo Frasca („Newsgaming“, „Gaming of the Oppressed“) oder Paolo Pedercini („Molleindustria“) finden.
BrendaBrathwaite(2010)_GamedesignApproach

Screenshot aus Brenda Brathwaite (2010): Spieldesignansatz in „One falls for each of us. The prototyping of tragedy.“ (Video)

4. Wir basteln uns ein minimalistisches Planspiel

„Das Planspiel versetzt die TeilnehmerInnen in eine fiktive Situation, die ein vereinfachtes Abbild einer speziell ausgewählten, realen oder hypothetischen Situation ist. Während mehrerer Spielrunden machen sich die TeilnehmerInnen mit dem Szenario vertraut, sie analysieren die Ausgangslage und die Ziele, führen Verhandlungen und fällen konkrete Entscheidungen.“
– Capaul & Ulrich (2003) in Planspiele: Simulationsspiele für Unterricht und Training.

Das „Brückenbau“-Spielziel ist üblicherweise von der Spielergruppe ohne größere Konflikte erreichbar, weil die Ausgangslage, das Ziel und die Mittel zu seinem Erreichen eindeutig beschrieben und für alle gleich sind. Lediglich der „beste“ Weg muss gefunden, erfunden und/oder in der Gruppe ausgehandelt werden.
Anders ist es bei Planspielen, wo die Zielsetzungen, Mittel und Ausgangslagen individuell unterschiedlich und komplex, die Machtverhältnisse unausgewogen und/oder die Legitimationen des Deutens und Bestimmens gegenseitig anfechtbar sind.
„Brückenbau“ lässt sich in Richtung Planspiel ‚verschieben’, wenn Partialziele, Arbeitsmaterialien und Rahmenbedingungen (d.h. z.B. Ausgangslage, Regeln, Narrationen ggf. auch kulturelle Kontexte) individuell unterschiedlich, vielleicht sogar unter den Spielern der Gruppe (teilweise) gegenläufig sind.

Beispiel:

  • Gesamtziel der Gruppe: Eine Brücke herstellen.
    Ohne die Standardanforderung des ursprünglichen Spiels zu erfüllen kann keine Gruppe bzw. keine GruppenmitspielerIn gewinnen.
  • SpielerIn 1 (Individuelles Ziel: Wirtschaftlichkeit):
    Maximal dürfen nur vier Blatt Papier und acht 10cm lange Klebestreifen benutzt werden. Überzeuge die Gruppe, sich an die Vorgabe zu halten; du stehst weiterhin in Konkurrenz mit den Papierverwaltern der anderen Gruppen und gewinnst, wenn eure Gruppe weniger verbraucht als die anderen.
  • SpielerIn 2 (Individuelles Ziel: Sicherheit):
    Die Brücke muss das dreifache Gewicht (ca. 750g, entspricht ca. drei 300-seitigen Taschenbücher) aushalten können. Überzeuge die Gruppe, dich dabei zu unterstützen. Du gewinnst, wenn eure Brücke im Vergleich zu den anderen Brücken das meiste Gewicht trägt.
  • SpielerIn 3 (Individuelles Ziel: Originalität):
    Die Brücke muss in ihren Aufbauprinzipien im Vergleich zu den – mindestens zwei – Brücken der anderen Gruppen möglichst einzigartig und originell sein. Jede einzigartige Designelementkategorie (Rohre, Stäbchen, Knüllpapier, Zickzack-Falze, Bögen, Säulen etc.) zählt einen Punkt, du gewinnst bei den meisten Punkten.

Da die Interaktion der Spieler bei Planspielen eine wichtige Rolle einnimmt, sollten mehrere Bastel- und Diskussionsphasen Platz finden.
„Brückenbau“ kann in seinem Wesen so also auch als ein stark vereinfachtes, relativ abstraktes Planspiel betrachtet werden.

5. Ich will mehr! Verwandte Spiele und Konstruktionsaufgaben

  • Eierschutz: Mit einer begrenzten Anzahl von Materialien  ist eine Vorrichtung zu bauen, die es ermöglicht, ein rohes Ei fallen zu lassen, ohne dass es zerbricht. Gewertet werden kann z.B. nach (zunehmender) Fallhöhe, Kreativität.
    Liste für Materialien:
    1. Variante: drei Strohalme, eine Plastiktüte, eine Rolle Klebeband und eine Schere;
    2. Variante: Zwei Luftballons (unaufgeblasen), eine Schnur von 4m Länge, eine Rolle Klebeband, eine Schere, ein Blatt A4-Pappe, 2 Flipchartpapiere
    3. Variante: Dreissig dicke Strohalme und eine Rolle Klebeband.
    Video zur Inspiration
  • Turmbau: Mit zwanzig Blatt DIN A4 Papier, einer Rolle Klebeband und einer Schere einen möglichst hohen Turm bauen. Gewertet werden kann z.B. nach Höhe, Stabilität, Kreativität, Ästhetik.
    Variante: Auf der Spitze des Turms muss ein Gewicht (leichtes, z.B. ein Marshmallow)  Platz finden.
  • Brückenbau nach Leonardo: Aus 100 Schaschlikstäbchen soll ohne Kleber (!) eine Selbsttragende Brücke gebaut werden.
  • Wie schwer ist eine 2-Euro-Münze?
    Ausschließlich mit im Raum vorhandenen Materialien soll das Gewicht einer 2-Euro-Münze ermittelt werden. Verwendung des Internets ist allerdings nicht erlaubt.

Generell lassen sich alle Spiele durch eine Variation der Materialien oder des Ziels beliebig permutieren. Die Technische Universität Hamburg z.B. lässt mit Spaghetti, Marschmallows, Klebeband und Bindfaden einen Turm bauen:
„Die Übung war der Auftakt zu einer Projektarbeit in Teams und hat den Studierenden vieles gezeigt: Die Wichtigkeit der Kommunikation im Team, dass Theorie und Umsetzung zwei unterschiedliche Dinge sind und dass Projekte manchmal auch an unvorhergesehenen Dingen scheitern können.“ (Marisa Hammer, TUHH)

6. Quellen und Lesetipps

  • Capaul, Roman, u. Ulrich, Markus (2003). Planspiele: Simulationsspiele für Unterricht und Training. Altstätten: Tobler
    (Martha-Muchow Bibliothek / Universität Hamburg)
  • Holzbaur, Ulrich. Planspiele: Grundlagen, Arten, Prinzipien. In: Holzbaur, Ulrich, Eckart Liesegang, und Müller-Markmann, Burkhardt. Planspiele in der Hochschullehre. Karlsruhe: Geschäftsstelle der Studienkommision für Hochschuldidaktik an Fachhochschulen in Baden-Württemberg (GHD) (Hochschuldidaktische Impulse), 2006.
    (Martha-Muchow Bibliothek / Universität Hamburg)
  • Kerres, Michael; Bormann, Mark u. Vervenne, Marcel (2009). Didaktische Konzeption von Serious Games: Zur Verknüpfung von Spiel- und Lernangeboten. In: Medienpädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis in der Medienbildung. Online publiziert am 25.08.2009.
    http://www.medienpaed.com/2009/kerres0908.pdf
  • Klippert, Heinz: Planspiele. Spielvorlagen zum sozialen, politischen und methodischen Lernen in Gruppen. 10 komplette Planspiele. 2. Auflage, Weinheim und Basel: Beltz 1999
    (Martha Muchow Bibliothek / Universität Hamburg)
  • Raiser, Simon u. Warkalla, Björn (2011). Konflikte Verstehen: Planspiele und ihr Potential in der Lehre der Friedens- und Konfliktforschung. Arbeitspapier Nr. 13/2011 des Zentrums für Konfliktforschung, Universität Marburg.
    http://www.uni-marburg.de/konfliktforschung/pdf/workingpapers/ccswp13.pdf
    (Empfehlung!)

 

Bruckenbau_Miniaturansicht

Handout zu „Brueckenbau“ (PDF)