Spielhindernisse in didaktischen Settings

Studierende konzentrieren sich nicht auf den Vortragenden; Diskussionen kommen nicht in Gang oder werden von lediglich zwei bis drei Studierenden getragen; Texte wurden nicht gelesen oder ausreichend verstanden, um in die Bearbeitung einzusteigen – Normalität im Unialltag.

Der Einsatz von Spielen als zumeist relativ unbekanntes Medium im Lehr-Lernalltag bringt auf den ersten Blick noch einmal eigene Probleme mit sich.
Meiner Erfahrung nach gibt es bestimmte, wieder kehrende Hindernisse, die Lernende davon abhalten zu spielen, oder die Lehrende davon abhalten, Spiele als Lehrmedium einzusetzen: Ablehnung wegen Instrumentalisierung, Zeitverschwendung, methodischer Unangemessenheit oder fehlender Ergebniskontrolle, fehlender didaktischer Einbettung, persönlicher Ablehnung.

1.) Ablehnung einer Instrumentalisierung von Spiel
(zumeist Lernende)

Vielleicht kennst man es noch aus der Schule: Spiele wie „Eckenrechnen“ in Mathe oder die Benotung von Leistungen in Sportspielen haben Spielen in der Schule einen schlechten Ruf verpasst. Hier dienen Spiele im schlimmsten Fall als „Zuckerguss“ für eine auf Konkurrenz und bewertende Autorität ausgelegte Methode.
Studis können es als Gängelung empfinden, wenn man ihnen qua Spiel vorschreibt, jetzt doch bitte Spaß zu haben, damit sie die anstrengendere, unbeliebte oder langweilige Tätigkeit X leichter bewältigen.

2.) Ablehnung von Spielen als Zeitverschwendung oder als thematisch unangemessen
(Lehrkräfte und Lernende)

Spiele kosten – manchmal schwer einschätzbar – Zeit, basieren häufig auf Affekten wie z.B. Freude, Gier oder Streitlust und sind generell „Unernst“. Wenn die Vorbereitung auf die nächste Klausur im Nacken sitzt, dann ist eine halbe Stunde für ein Spiel ohne direkt erkennbaren Themenbezug viel Zeit.
In manchen Settings wie z.B. der Orientierungseinheit (so zu hören bekommen an der EW der UHH) möchten  Studis manchmal lieber kompakte, sachliche Information erhalten, ohne Spielverpackung. Bei bestimmten ernsten Themen wie z.B. Rassismus, Sexismus, Holocaust etc. erscheint ein Spieleinsatz für ein Thema oft zu frivol.

3.) Ablehnung von Spielen wegen fehlender didaktischer Konzeption, fehlender Erfahrung mit der Wirksamkeit oder Unsicherheit der Akzeptanz durch die Studierenden
(Lehrkräfte)

Kaum ein Spiel kann alle begeistern, es ist ein didaktisches Medium wie Vorträge, Referate, Mindmaps etc., allerdings mit dem durchaus gerechtfertigten Ruf eines ungewohnten und etwas anarchischen Mediums für eine Lehr-Lernsituation.
Problematisch ist insbesondere, dass Spiele Aktivität und Entscheidungen von den Studis verlangen. Eine Präsentation funktioniert ohne diese Zutaten; ein Spiel bricht jedoch zusammen, wenn niemand mitspielt oder es keinen Spaß macht. Die Vorbereitungs- und Spielzeit ist damit der meist knappen Seminarzeit verloren (Opportunitätskosten). Eine Präsentation, Referat oder Vortrag mit einem klar definierten Test oder einer bekannten Diskussionsrunde danach ist dann meist der attraktiver erscheinende Weg.

4.) Während des Spielens kommt es individuell zu Interessensverlust bzw. Ausstieg, weil das Spiel nicht den persönlichen Erwartungen oder Einstellungen entspricht
(Studis).

Inhalte oder Spielmechaniken des Spieles können unterfordern oder überfordern. Dies kann auf kognitiver Ebene passieren, weil nicht vorhandene Wissensinhalte (z.B. Quizze) oder ein komplexes Regelverständnis vorausgesetzt werden; ebenso auf physischer Ebene bei Bewegungsspielen mit z.B. körperlicher Berührung unter den SpielerInnen (z.B. Spinnennetz); oder auf affektiver Ebene, wenn Spiele negative Emotionen wie Wut oder Angst auslösen, z.B. bei unusable Games (z.B. Starpower, Albatross-Experiment).
Jeder Studierende hat eine eigene Spielpersönlichkeit, die gewissen Mechaniken eher zugeneigt ist als anderen (siehe z.B. Spielertypen nach Richard Bartle (1996) in “Hearts, Clubs, Diamonds, Spades.” oder Tracy Fullerton (2008) in “Game Design Workshop. A Playcentric Approach to create innovative Games.”, S.92, Auflistung hier).
Kulturelle Prägungen können ebenfalls beeinflussen, wie ein Spiel wahrgenommen und ob (mit)gespielt wird. Geschlechterrollen, die Autorität von (mitspielenden) Lehrpersonen, die soziokulturelle Rolle des Spiels oder die Unkenntnis als „allgemein“ voraus gesetzter Spielgenres oder Spiele (wie z.B. die in der Türkei unbekannten Puzzlespiele(!), „Simon Says“ in Deutschland etc.) können zu einer Herausforderung für die Spielleitung werden.

Vorschläge, um den Problemen zu begegnen

1. Vorschlag: Es ist kein ‚Spiel‘.
Am einfachsten ist es, die Aktivität nicht als „Spiel“ anzukündigen, sondern entweder unbenannt zu lassen oder „Simulation“, „Experiment“, „aktivierende Tätigkeit“, „Demonstration“ oder „Übung“ zu nennen.

2. Vorschlag: Nicht zu spielen bedeutet nicht, nicht teil zu haben.
Spiele dürfen, gerade wegen der geforderten Aktivität seitens der Spieler, nicht aufgezwungen werden. Es muss erlaubte, nicht-sanktionierte Optionen zum Nicht-Mitspielen geben, z.B. als Zuschauer, Kommentator, Protokollant, Schiedsrichter.

3. Vorschlag: Einbettung des Spiels in einen größeren thematischen Kontext.
Konkret didaktische Spiele, die auf eine Veränderung betreffs Wissensstands, Kompetenz oder Einstellung abzielen, benötigen ggf. eine Vorbereitungs- und insbesondere eine Nachbereitungsphase, in denen sachlich über genau dies geredet werden kann. Z.B. über die Frage, was passierte warum (oder warum nicht) im Spiel, was wurde individuell oder in der Gruppe erreicht?

4. Vorschlag: Ein Spiel ist als ein Medium wie andere Medien auch einzusetzen.
Spiele sollten thematisch und zeitlich passend, nach ihren jeweiligen Erfordernissen und Möglichkeiten möglichst bewußt eingesetzt, ggf. in einen Medienmix integriert und als Impuls für nachfolgende Aktivitäten genutzt werden. Auch Referate, Vortragsstile, Diskussionsmethoden sind nicht immer für alle ansprechend, dies gilt auch für Spiele.

5. Vorschlag: Raum für Emotionen und Diskussionen lassen
Bei affektiv fordernden Situationen – entweder ungewollt z.B. bei Berührungsspielen oder gewollt bei unusable Games – muss ein Raum für eine vorbehaltlose Diskussion von Gefühlen gelassen werden, bevor es um eher abstrakte Diskussionen von Inhalten oder Abläufen geht. Eine kurze Ruhe- bzw. Cool-off-Phase ist bei fordernden Spielen ggf. angemessen bevor reflektiert werden soll.

6. Vorschlag: Zielgruppenspezifische Auswahl oder Modifikation von Spielen
Wenn Problematiken wie kulturelle Tabus oder noch fehlendes Vertrauen unter den Spielern oder zur Spielleitung o.Ä. bekannt ist, dann können diese durch entsprechende Spielwahl oder Spielmodifikation evtl. umgangen oder gemildert werden. Z.B. anstelle des Halten der Hände die Verwendung eines kurzen Stück Seils; das Zulassen von „Beobachtern“ um auch Nichtspieler regelkonform zu integrieren (s. 2.); oder die Verwendung von abstrakten Spielgegenständen oder das Spielen in Paaren anstelle der demonstrativen Verwendung – und damit Zurschaustellung, gerade beim „Scheitern“ – der jeweils eigenen Person (s. z.B. „Hürdenlauf“ und seine Varianten).