„Social Media – Demokratie, Partizipation, Manipulation?“

Zur Podiumsdiskussion am 04.11.2011 der Volkshochschule
(Es diskutieren: Guido Brombach (DGB Bildungswerk, pb21 / #GiBro), Agnieszka Krzeminska (Social Media Führerschein), Dr. Jan Schmidt (Hans-Bredow-Institut Hamburg), Wey-Han Tan (Universität Hamburg), Henning Wötzel-Herber (ABC Bildungs- und Tagungszentrum e.V. / #Plastikstuhl); Vortrag: Prof. Dr. Torsten Meyer (Universität zu Köln); Moderation: Christina Schwalbe (Universität Hamburg))

Ich mache drei Ebenen der Lenkung von Kommunikations- und Informationsprozessen aus. Dies sind die institutionelle, die technisch-mediale und die individuelle Ebene.

1. Propaganda, Zensur, Spin, juristische Repression

Der erste Bereich ist der vielleicht nahe liegendste, da er bereits aus den ‚alten‘ Medien bekannt ist: Die gezielte Sperrung, Zurückhaltung oder Manipulation von Informationen durch staatliche Stellen, ISP oder Content Providern wie z.B. großen Medienagenturen. Dies kann in großem Maßstab bis zur ‚Abschaltung‘ ganzer nationaler Domains (Ägypten) führen, gezielt gegen bestimmte technische (Blackberry) und damit auch gegen soziale Infrastrukturen (Social Networks) gerichtet sein, oder Zurückhaltung bei bestimmten thematischen Content bedeuten (Berichterstattungs-Bias).
Indirekt wird dieser Bereich ebenfalls abgedeckt durch die Androhung oder tatsächliche Durchführung von Repressionen beim Aufrufen oder Verbreiten von unerwünschten Inhalten; dies kann, im vorauseilendem Gehorsam wie z.B. bei Urheberrrechtsfragen, zu einer Selbstzensur auf verschiedenen Organisationsebenen des Content führen.
Klassischerweise ist dieser Bereich etablierten, einflussreichen Entitäten vorbehalten wie Regierungen, Medienkonzernen oder juristischen Körperschaften mit starkem politischen Einfluss.

2. Medial-semantische (Un)Möglichkeiten, Begrenzungen des gestalteten medialen Raums

Jedes Medium bringt seine eigenen Beschränkungen mit sich, wie und in welcher Form Informationen abgerufen oder wahrgenommen werden können. Das Medium ‚Film‘ z.B. beschränkt durch die Linearität und Unveränderbarkeit seiner Formen; soziale Netzwerke definieren „Like“ und „Friendship“ als diskrete, quantitativ messbare Nutzeroperationen um; Hyperlinks können – üblicherweise – nur von den Autoren von Content gesetzt werden, und nur sehr schwierig, wenn überhaupt, von den Lesern.
Dies ist eine Seite einer ‚Zensur‘, die gerade durch neu geschaffene Medien sehr vielgestaltig werden kann und durchaus durch eine Vielzahl neuer Ausdrucksformen bereichert (im Realen siehe z.B. BarCamp vs. Konferenz).
Ausdruck ist erst durch mediale Begrenzung möglich (s. z.B. McLuhan „grammar of print“, Luhmanns Konzept von Medium und Form).
Es wird dann problematisch, wenn durch einen sehr hohen Verbreitungsgrad einer bestimmten medialen Form das kulturelle Verständnis, was generell in allen aktuellen  Medien möglich und erwartbar ist, verändert wird (Gutenberg Galaxis).
Mittlerweile werden digitale Medien, insbesondere im Spielbereich, gezielt so gestaltet (Interaktionsdesign), dass ein bestimmtes erwünschtes Verhalten des Nutzers gegenüber Information herausgefordert wird. Dies ist meiner Ansicht nach ein qualitativer Unterschied gegenüber den ‚klassischen‘ Medien wie Print, Radio, TV, wo sich die Manipulation eher auf die Form der Inhalte als auf die Form des Mediums bezog und bezieht.

3. Relevanz, Filter, Suchmaschinen, technische Agenten, der Long Tail der Informationsgesellschaft

Die Welt ist kompliziert. Ein offenes Fenster zur Welt von Milliarden Menschen zu haben, vervielfacht die Schwierigkeit, damit umzugehen, zu entscheiden, zu sortieren, abzulehnen oder wahrzunehmen (auch aus dem Gefühl heraus, dies zu müssen). Information Overload ist die eine Seite dieses Problems, kognitive Dissonanz die affektbeladene andere. Beide können sich manifestieren in einer individuellen Forderung bzw. Sehnsucht nach Relevanz und Bestätigung der eigenen Position bei gleichzeitiger Handlungsfreiheit. Suchmaschinen, DataMining zu Nutzergewohnheiten, soziale Netzwerke und ihre Empfehlungen sowie das Konzept persönlicher Filteragenten sind die (kommerzielle) Antwort darauf. Wir möchten das Gefühl haben, gut informiert zu sein, teil zu haben an der Welt; allerdings ohne einen wirklichen Angriff auf unsere Standpunkte zu befürchten: Assimilation ist in diesem Fall einfacher als Akkommodation, ein unendlich großer medialer Raum mit entsprechenden Filtern unterstützt ersteres. Schauen sie, wie Google Suchergebnisse bei Ihnen und wie bei anderen Personen arrangiert: Dies ist ein Beispiel für unbewußte oder softwaretechnisch unsichtbar gewordene informationelle Zensur über Nutzerprofiling – zum Schutz oder zur Bequemlichkeit des Nutzers: Es gibt im WWW immer Informationen, die unsere Ansichten bestätigen.

„Es liegt an unserem Bedürfnis, beides zu haben: beliebige Komplexität und die narzißtischen Freude des Überblicks, die Vielfalt des Sprechens und die Transparenz auf die Gegenstände, eine Sprache ohne metaphysisch-hierarchische Zentrierung, die ihre Kohärenz dennoch souverän aufrechterhält.“
– Hartmut Winkler (1996), „Suchmaschinen. Metamedien im Internet?

Möglichkeiten und Sehnsüchte, Workarounds und wirklich neue Medien

Jede dieser Manipulationen und Lenkungen beinhaltet auch die Möglichkeit der Öffnung in neue Räume. Zensur und Beschränkung führt damit unter bestimmten Bedingungen zu einem Bewußtsein der Grenzen und ein ‚Spielen‘ damit, so dass neue mediale Formen gefunden werden – nicht trotz, sondern wegen der und durch die Beschränkung als etwas, gegen das man sich nur abgrenzen kann, wenn ein neues Medium gefunden – oder erfunden – wird, in dem dies möglich ist (siehe die neuen Narrative der Occupy Wallstreet Bewegung).

2 Gedanken zu „„Social Media – Demokratie, Partizipation, Manipulation?“

  1. WoW…. ich habe selbst in meiner Jugend Kult gemeistert….. „Gänsehaut“..
    Ich arbeite gerade an einigen Artikeln und bin bei meiner Recherche auf Ihren Blog und diesen Artikel gestoßen.
    Zum Thema Suchmaschinen und Manipulation, finde ich nicht ganz irrelevant, dass diese selbst manipuliert werden. Gleichzeitig wird die öffentliche Wahrnehmung darüber Manipuliert, da beide Seiten, also die SM- Manipulatoren und die SM-Anbieter im jeweils eigenen Interesse, dieses nicht an die große Glocke hängen. Von Tante Go wird diese Manipulation der Suchergebnissen scheinbar auch von Hand vorgenommen.
    Interessanter Blog hierzu „seoblackhat.com“, dieser wird von einer der Lichtgestallten der Digitalen-Manipulations-Szene betrieben.

    Gruß und Dank
    Stefan

    • Schön, dass es noch „Kult“-Begeisterte gibt!

      Dass Google oder andere Suchmaschinen manipulierbar sind, erfährt vermutlich jeder Nutzer, der in der Ergebnisliste mit Suchmaschinen-Spam konfrontiert wurde. Bei Linkfarmen zu Porno-Websites ist dies nicht so, aber es kann durchaus auch im Sinne der Manipulatoren sein, dass die Aktion „an die große Glocke“ gehängt wird – wie z.B. bei einigen Versionen des Google-Bombing, etwas wenn dies aus Protest geschieht. Es ist, wenn man so will, eine gehackte Version des ‚Like‘-Buttons, die da über eine vielköpfige, webversierte Nutzergruppe auch konstruktiv-expressiv eingesetzt werden kann.

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