Due to recent events – the public interest in Guttenberg-practice-of-quoting – I’d like to post an article on the topic which originally was published in „La réalité dépasse la fiction.“
Zitat
Zi•tat, das; von lat. citare (=herbeirufen). Ein einzelnes mediales Fragment bzw. Formelement aus einem bereits existierenden Werk, das in einer Neukontexualisierung einen Bezug zu diesem herstellt. In Wissenschaft, Juristik und Religion beliebt als legitimierende bzw. exemplifizierende Referenz, in der Ästhetik meist als Hommage oder Parodie bzw. als sicherer Plagiatsersatz für Künstler anzutreffen [siehe Marketing]. Das übliche fremdreferenzielle Zitat leistet dabei eine vernetzende sowie stabilisierende und Identität stiftende Wirkung auf kultureller, das Selbstzitat auf individueller Ebene. Insbesondere in einer zunehmend beschleunigten Welt im Wandel erhalten Zitate durch ihr Wesen der Beständigkeit und Abgeschlossenheit die Rolle von unveränderlichen Orientierungspunkten – oder zumindest als Schnappschüsse von diesen.
Durch die Verbreitung digitaler Medien, d.h. durch Vernetzung und die Copy-Paste-Funktion, fällt der Einsatz von Zitaten zunehmend leichter. Kultur, Kommunikation und Kognition werden dabei sichtbar als eine Referenzierung und Neukontextualisierung bereits existenter Inhalte, wobei der klassische Zitierer sich durch das Einhalten bestimmter Erkennungsmerkmale dieses Prozesses zumindest als bewusst erweist:
1.) Das Zitat muss identisch mit einem Bestandteil eines originären Werks sein. Allerdings kann durch einen ästhetischen Sprachduktus oder der Benutzung von Latein der Anschein eines mutmaßlich identischen Textfragments erweckt werden.
2.) Die Angabe einer bekannten Persönlichkeit als Quelle macht eine Äußerung als Zitat kenntlich und versetzt selbst profane Äußerungen des Alltags in den Status zumindest eines Bonmots. Ein mutwilliges oder zufälliges Vertauschen der Urheber mag zu Erstaunen, Erschrecken oder tiefen Einsichten in die Natur des Menschen führen. Dies kann bildungstechnisch wünschenswert sein.
3.) Die wichtigsten Zeichen für ein Zitat sind die Anführungszeichen. Ähnlich wie Absperrpfeiler mit Samtkordeln stecken sie ein Gebiet ab, das vom Rezipienten ehrfurchtsvoll betrachtet, aber nicht betreten werden darf [siehe Grenze]. Andererseits garantieren Sie ihm, dass sich auch nach beliebig langer Abwesenheit zwischen ihnen nichts verändert haben wird. Anführungszeichen können gedruckt, gesprochen, per Mimik oder Gestik etc. dargestellt werden und gehören zu der wichtigsten Errungenschaft des kommunikativen Handelns, Abwesendes anwesend werden zu lassen. Für die kommunikative Bedeutung des Zitierens spricht ihre funktionale Kenntlichmachung bei diesem Vorgang.
Das mutwillige Auslassen von Anführungszeichen bei Zitaten in originären Werken wird als Diebstahl bezeichnet und nicht als Sachbeschädigung, was näher läge.
4.) Sowohl der originäre als auch der Zielkontext sollten in einem Bezug zueinander stehen, der den Zweck des Zitats verdeutlicht. Wie bei der Quellenangabe kann auch hier eine Nichtbeachtung zu unerwarteten Ergebnissen führen.
Identität, Ursprung, Eingrenzung und Kontext sind sowohl erwartete Merkmale eines Zitats, werden aber gerade dadurch auch zu dankbaren Experimentierobjekten für Künstler und kulturelle Trickbetrüger (siehe Cultural Hacking). Der Endpunkt der Zitation wäre im Digital-vernetzten mit der dynamischen Einbettung einer Textstelle erreicht, d.h. die statische fragmentarische Kopie verschwindet zu Gunsten des originären, vom Autor stets nachbearbeitbaren Ausschnitts.
Quelle:
Tan, Wey-Han: Zitat. In Hedinger, Johannes M., Gossolt, Marcus und CentrePasquArt Biel/Bienne (Hrsg.): La réalité dépasse la fiction. Lexikon zur zeitgenössischen Kunst von Com&Com. Sulgen: Verlag Niggli AG 2010. 198-199